a shotgun after Edward Paton's patent
Jagdanekdoten und Waffenkunst

Brauchen tote Prinzen Waffen?

Mit dieser Anekdote begann vor 12 Jahren meine Karriere als Jagdjournalist.

Im Vereinigten Königreich, genauer gesagt in Schottland, lebte einmal ein Flint- und Büchsenmacher. Damals war das kein seltener Beruf. In jeder anständigen Stadt gab es mindestens einen, und in einigen Vierteln von London und Birmingham konnte man kaum durch die Straßen gehen, ohne von allen Seiten angesprochen zu werden: “Kaufen Sie! Die allerneuste Großkaliberbüchse für die Elefantenjagd!” “Die beste Schrotflinten – mit den verfehlen Sie nie wieder! Nur bei uns!” und so weiter. 

Und unter diesen Tausenden von Büchsenmachern war auch Edward Paton, von Perth, später auch von London. Patons kleine Firma stellte alle Arten von Jagd- und Sportwaffen her, darunter präzise Perkussionsschlossbüchsen mit Zügen nach seinem eigenen System, großkalibrige Flinten für die Entenjagd. Patons Kipplaufpatent, das sich besonders gut für den Umbau von Vorderladern in Stiftfeuer eignete (was damals sehr gefragt war), wurde von Experten wie Stonehenge (J. H. Walsh) gelobt und in seiner Zeit ziemlich populär.

1870 wurde Edward Paton zum Hoflieferanten Seiner Königlichen Hoheit Prinz Albert von Sachsen-Coburg und Gotha, Prinzgemahl des Vereinigten Königreichs ernannt.

Und wenn Du, liebe Leserin, lieber Leser, jetzt so etwas wie “Moment mal, hier stimmt doch was nicht” sagen willst, dann verfügst du vielleicht über ein gutes Wissen der Geschichte Großbritanniens.

Nun, dass einige Büchsenmacher die Diplome von Hoflieferanten erhielten – das war damals ganz normal und ist es auch heute noch. Die Firma Holland & Holland spricht mit Stolz von ihrem “Royal Warrant of Appointment” an Prinz Charles, jetzt König Charles III. Eine erfolgreiche Werbestrategie konnte es auch sein: Ferdinand Courally führte die Firma “Auguste Lebeau”, später “Lebeau-Courally”, aus Schattendasein zu einem der bekanntesten belgischen Jagdwaffenhersteller, vor allem durch (nicht immer zutreffende) Assoziationen mit verschiedenen Königshäusern.

Das einzige Problem war, dass 1870 Seine Hoheit Albert, Prinzgemahl und Ehemann von Königin Victoria, und übrigens ein leidenschaftlicher Jäger, erst neun Jahre tot war, und gar keine Büchsen oder Flinten brauchte.

Wie kam es zu diesem lebendigen Anachronismus?

Patons Büchse
Eine Büchse der Firma Edward Paton. Das Titelbild zeigt eine Flinte nach Patons Patent. Quelle beider Bilder: Holt’s Auction House.

Warum Edward Paton das Diplom des Hoflieferanten beantragte, ist leicht zu erklären. Da es so viele gute Büchsenmacher gab, musste man sich irgendwie abheben, und der “Warrant of Appointment” war, wie gesagt, kein schlechtes Werbemittel. Die Frage ist, warum hat die Königin den Warrant gewährt? 

Das hat mit einer Tugend zu tun, von der in Jagd- und Waffengeschichten selten die Rede ist: der ehelichen Liebe. 

Victoria war bekanntlich sehr in Albert verliebt. Nach seinem Tod litt sie etwa zehn Jahre lang an Depressionen. Sie wollte nicht wahrhaben, dass er nicht mehr da war. Auch in seinem Zimmer ließ sie alles so, wie es bei ihm war. Sein Bett wurde täglich mit frischer Bettwäsche gemacht. Das tägliche Wechseln der Bettwäsche war nämlich eine von Alberts Innovationen, wegen denen keines ihrer neun Kinder als Minderjährige starb (was damals fast undenkbar war).

Und nun, wenn ein Mann aus Schottland, Alberts liebstem Ort, sie um das Recht bitten würde, sich Hoflieferant nennen zu dürfen, und zwar von Waffen für die Jagd, Alberts liebster Freizeitbeschäftigung – wie könnte sie ihn wegschicken? Das wäre so, als würde sie sagen: Albert ist tot, er braucht keine Flinten und Büchsen mehr. Auch Königinnen haben ihre Grenzen. Vor allem, wenn Königinnen lieben.

Nach den Sitten des viktorianischen Zeitalters muss hier eine Moral sein. Also: Dieses Spiel mit den Gefühlen der Königin hat Edward Paton nicht viel eingebracht. Obwohl die Firma Paton bis 1943 existierte, gehörte sie nie zur ersten oder sogar zweiten Reihe der britischen Büchsenmacher, und war hauptsächlich als Zulieferer für erfolgreichere Kollegen wie Boss & Co tätig.

Painting "Going North"

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